Ghostcity

Eine begehbare Theaterinstallation.

Ein menschenleeres Vorstadtviertel. Die Hochhäuser, urbane Visionen der Vergangenheit, sind dem Zerfall preisgegeben. Hier wohnt niemand mehr. Vorsichtig durch- schreitet man die Winkel und Gassen dieser morbiden Tristesse. Da dringen leise Töne aus den Zimmern der verlassenen Häuser. Geräusche, die nicht verstummen wollen in ihrer ewigen Wiederholung. Der Betrachter ist mittendrin in dieser Geisterstadt. Die Geister zeigen sich nicht. Aber ihre Stimmen sprechen, flüstern, wispern aus den Wohnungen. Im Kopf des Voyeurs entspinnen sich Geschichten von Liebe, Hoffnung, Trauer…

Die grundlegende Idee der Ghostcity ist die Verbindung von bildnerischer Installation und theatraler Spielweise; ein begehbarer, übermenschengroßer Modellbau einer verlassenen Stadt, auf einer Fläche von 15 mal 15 Metern. Der Zuschauer betrachtet unterschiedliche Stillleben, die mit Geräuschen, Dialogen oder musikalischen Einsätzen kombiniert sind. Es ist ihm zunächst selbst überlassen, wie lange er die einzelnen Szenerien betrachten will. Dieses selbstständige Erkunden wechselt mit Phasen, in denen die Akteure den Fokus auf eine einzelne Szene richten. Die Gesamtdauer der Theaterinstallation beträgt 50 Minuten.

Idee, Konzept: Marius Kob
Akteure, Bühnenbild: Lena Kießling, Pauline Drünert, Marius Kob
Klangkomposition: Leo Hofmann
Oeil Extérieur: Nils Torpus
Produktionsassistenz: Anna Byland
Dauer: ca. 50 Minuten

http://www.ghostcity.eu

Presse:

GHOSTCITY – EINE HEIMSUCHUNG
Mit „Ghostcity“ hat der Figurentheaterspieler Marius Kob ein begehbares Modell einer trostlos verlassenen Trabantenstadt geschaffen. Wie geisterhafte Touristen wandeln die Betrachter durch diese Plattenbaulandschaft und suchen selbst nach einer Geschichte.

Von Sarah Leonor Müller (vom 2. September 2011 im Rahmen der Treibstoff-Festival Kritikerplattform)

Es gibt Angenehmeres, als spät nachts allein in einer fremden Vorstadt anzukommen. Man irrt durch schwach beleuchtete Strassen und sucht nach einem Unterschlupf oder einer wohlgesinnten Menschenseele. Die Einsamkeit schärft einem dabei regelrecht die Sinne: Jedes Geräusch wird hörbar und was man nicht sieht, das erahnt man.
Solchen Eindrücken überlässt auch Marius Kob die Zuschauer in seiner installativen Performance «Ghostcity». Auf 15 mal 15 Quadratmetern hat er eine sozialistische Reissbrettsiedlung aus Wellkarton nachgestellt. Die erste halbe Stunde bewegen sich die Theaterbesucher selber im Dunkeln durch ein rätselhaft karges Puppenstuben-Szenario. Angelockt von Geräuschen oder kleinen Lichtquellen nähert man sich den einzelnen Kartonhäusern und blickt zunächst etwas zaghaft hinein. Es riecht darin nach Karton und mal sogar ein bisschen nach Urin. Die Gebäude sind verlassen. Irgendwo klafft entlang einer Innenwand ein leerer Liftschacht wie eine zwei Meter lange Narbe. Die ehemaligen Stockwerke liegen in Trümmern am Boden. Menschliches Leben manifestiert sich lediglich als eine Spur von zurückgebliebenen Alltagsgegenständen und mehr oder weniger sinnvollen Aufschriften wie «AC/DC» oder «Geh niemals mit Punks bei Gewitter schwimmen!».
Nichtsdestotrotz ist die Stadt gespenstisch belebt. In einem Fenster auf Nabelhöhe brennt Licht: Der voyeuristische Blick fällt in ein braungrün gekacheltes Bad mit einer Toilette. Plötzlich hört man hier die Toilettenspülung, darauf im Nachbarblock das Quietschen von kleinen Haustieren und weit weg schrille Kinderstimmen.

Da ist niemand
Kobs Installation ist raffiniert in seinem Spiel mit verschiedenen Sichtebenen und Perspektiven. So gibt es nebst der Aussicht durch Raumfluchten auch einzelne Standpunkte, von wo aus die ganze Stadt hinter einer einzigen Wand zum Verschwinden gebracht wird. Belebt werden diese Räumlichkeiten durch eine hervorragend konzipierte Geräuschkulisse (Leo Hofmann), die in diesem Stadtraum den Eindruck von geisterhafter Anwesenheit schafft. Der wachsende Lärm eines sich nähernden Motorrads etwa lässt den Besucher unvermittelt innehalten. Am eingehendsten sind allerdings die Stimmen und Gesprächsfetzen, die sich aus den Gebäuden vernehmen lassen. Sie lassen aufhorchen und um sich blicken. Doch da ist niemand. Paradoxerweise ist jedoch die ganze Bühne bevölkert. Es sind die Betrachter selbst, die sich inmitten dieser Ruinen durch unzählige Fensterausschnitte stumm anschauen.

Leben in der Wohnmaschine
In einem zweiten Teil übernehmen die drei Figurenspieler Kob, Pauline Drüner und Lena Kiessling die weitere Regie. Mit Taschenlampen beleuchten sie wortlos die kleinen, bisher unbemerkten Details. Eine kleine Strickleiter, ein einzelner roter Kinderstiefel oder ein geköpfter Teddybär werden im Lichtkegel als ultimative Beweisstücke menschlichen Lebens sichtbar. Was wie eine nostalgische Suche beginnt, entwickelt sich zu einer Präsentation von Alltagsausschnitten einer eng zusammengepferchten Wohnblockgesellschaft. An dieser Stelle wagt die Inszenierung quasi einen Zeitsprung indie Vergangenheit. Die Figurenspieler leuchten mit ihren Lampen in verschiedene Wohnungen und Zimmer. Darauf werden Geräusche und Gesprächsfetzen hörbar. Wird in einem Stock heftig gestritten, so wird im anderen ausgiebig geliebt. In einem Zimmer wird Geige geübt, im anderen pubertär-depressiv auf einer Gitarre geklimpert. «Wir möchten, dass du ausziehst», fordert eine Frauenstimme plötzlich sachlich. Den Gesprächen fehlt der Kontext, und als Zuschauer ist man überfordert. «Wenn man nichts weiss, wird die Phantasie aktiviert», sagt eine Männerstimme unerwartet sehr passend. Die Geschichte liegt buchstäblich unter Trümmern begraben, und es ist dem Zuschauer selbst überlassen, sie nach seiner Vorstellung zu rekonstruieren.

Sehnsucht nach Heimat
Trotz einer tendenziell bedrückenden Grundstimmung, ist dieses interaktive Stück von einer eigentümlichen Sehnsucht beseelt. War es zu Anfang eine Suche nach Lebenszeichen, vielleicht eine Art Nostalgie, zeigt sich nun in den Erzählungen und Erinnerungen der Stadtbewohner selbst eine Sehnsucht nach Reisen, Aufenthalten in der Natur und nach heimatlichem Idyll. Passend zu diesen heimatliebenden und fernwehschwangeren Betrachtungen erklingt romantisch eine Jagdhornmelodie. Die Projektion eines Schiffes gleitet gleichsam wie das Gespenst der Sehnsucht über die leeren Häuserwände, um schliesslich wie ein Dia auf eine Zimmerwand gebannt zu werden. «Ghostcity» gräbt nach Heimat, untergräbt diesen Begriff aber auch und lässt ihn mitnichten auf ein kitschiges Dia reduzieren. Weniger manifestiert sich Heimat als ein Ort, als vielmehr als Riss: «Wo mein Zuhause ist? Da, wo ich in meiner Muttersprache fluchen kann.»

Basler Zeitung, Freitag 2. September 2011
Geister und Gesundbeter
Die ersten Produktionen des Nachwuchsfestivals Treibstoff im Roxy und in der Kaserne

Von Stephan Reuter

(…)
Stimmen aus der Vergangenheit
Vom Roxy in die Kaserne. Von der schrillen „Sigille“ in die friedhofsstille Plattenbauallee, die der Figurenspieler Marius Kob in die Reithalle gebaut hat. „Ghostcity“ hat der Master-Absolvent der Berner Hochschule der Künste seine begehbare Installation genannt. Eine Geistersiedlung aus betonglattem Karton. Sehr treffend. Unverkennbar die Plattenbauästhetik der DDR – Kob kommt aus Magdeburg. Leitern führen ins Leere, Treppenhäuser staken ohne Stockwerke in die Höhe. Hohle Fenster gähnen einen an wie das Ende der Welt.
Das Publikum kann diese Modellstadt durchwandern. Als Späher. Als Horchposten in die Vergangenheit. Zu sehen sind die Bewohner nicht mehr, aber zu belauschen wie durch zu dünne Wände, fetzenhaft gespenstisch.
Bei näherem Hinhören gibt die Stadt merkwürdige Minidramen preis. Eine Stimme erzählt von einem Kindheitstrauma: Die Eltern hatten den Jungen abends ins Badezimmer abgeschoben, in die „totale Isolation“. Im Rhythmus der Soundcollagen von Leo Hofmann lenken Taschenlampen den Blick in leere Zimmer. In Räume, in denen gegrölt, geschimpft, geschwängert wurde. Am Ende verstricken Leuchtbänder die Stadt in Zusammenhänge. Ein eigenartiger Anblick. Und ein Projekt mit einer ganz eigenen Poesie.

Basellandschaftliche Zeitung, Freitag 2. September 2011
Bunte Lachfläche, stiller Erzählraum
Treibstoff. Am ersten Abend gab es „Sigille. Ein esoterischer Trip“ im Roxy und „Ghostcity“ in der Reithalle

Von Verena Stössinger

(…)
Eine dichte, leise Aufführung
Markus Kobs „Ghostcity“ in der Reithalle erscheint dagegen in vielem geradezu als Gegenstück. Es gibt keine Bühne, bloss einen seltsam möblierten, halbdunklen Raum, durch den wir uns tasten. Eine stille Stadt mit hohen Häusern aus Pappkarton, zwischen denen wir hindurch gehen und in die wir hineinschauen wie fremde Riesen. Türen, Fenster, kleine Balkone, Wasser, das rinnt. Hier hört man ein Seufzen, Singen, dort einen Satz, der sich ständig wiederholt – bis sich die Geräusche intensivieren, steigern und ineinander verkanten. Und ein Lampenkegel Details ans Licht holt: eine Wäscheleine, Sprüche an der Wand, ein rotes Zimmer unter einer Treppe. Wir beginnen, Figuren zu den Räumen zu erfinden, zu den Lauten, Konstellationen, Konflikte, doch auf mahnenden Sozialrealismus ist die Rauminstallation der Figurenspieler Marius Kob, Lena Kiessling und Pauline Drühnert nicht aus. Jedenfalls nicht auf Dauer. Ein paar der Haustürme werden umgelegt, das sind jetzt Sitzbänke. Wir sehen, wie sich im Raum, den wir nun nicht mehr stören, seltsames Leben entfaltet. Hören Sätze über Friedhöfe, Untote und Klopfgeister, sehen grüne Lichtpunkte zwischen den nachtdunklen Häusern, wie sie herumirren, dann dringt Nebel ein, es gibt Alphornklänge und Sätze über Heimat, Sehnsucht, Fernweh und schließlich wird zwischen die Häuser ein dichtes Fadennetz gespannt. Als wöben Spinnen die Stadt ein; als schnürten unsere Interpretationen ihr die Luft ab und verschlössen den Raum.
Eine dichte, leise Aufführung, die alle Sinne öffnet. Eine, die nichts im Voraus weiß und schon gar nichts beweisen will. Ein Raum, den wir uns erschließen, indem wir ihn erleben und erzählen.

DRS1, Donnerstag, 15. September 2011
Gespenstisches Figurentheater in Aarau

Eine verlassene Plattenbausiedlung en miniature, liebevoll gestaltete Details, eine effektvolle Geräuschkulisse und ein raffiniertes Lichtkonzept. Das ist «Ghostcity», eine Theaterinstallation, die zur Zeit in der alten Reithalle in Aarau zu sehen ist. Der Figurentheatermacher Marius Kob hat aus Wellkarton eine gespenstische Vorstadtsiedlung gebaut und produziert darin eine Collage von starken Theaterbildern. Eine Geschichte erzählt «Ghostcity» nicht – die Installation lädt vielmehr dazu ein, sich selber Geschichten auszudenken.
Die Zuschauer können die Geisterstadt zuerst selbständig erkunden. Danach weisen die Theatermacher mit Hilfe von Taschenlampen auf die vielen versteckten Details der Installation hin. Im dritten Teil der Vorstellung ensteht mit Hilfe von Lasern, UV-Licht und künstlichem Nebel ein völlig neues Bild der Geisterstadt.
«Ghostcity» ist ein Erlebnis für alle Sinne: sehen, hören, anfassen, sich wundern und sich auch etwas gruseln. Ein ungewöhnliches Stück Theater in der alten Reithalle Aarau. (vitre)

Aargauer Zeitung, Freitag, 16. September 2011
Ein poetisches Stillleben als Blick auf eine Stadt
„Ghostcity“ in der alten Reithalle Aarau führt die Zuschauer auf einen Rundgang durch eine urbane Miniaturwelt

Von Julia Stephan

„Ghostcity“ hätte nach seiner Premiere an den Treibstoff-Theatertagen keinen besseren Standort finden können: Nachdem am Wochenende die Kulturschaffenden des Kantons mit einer provisorischen Zeltstadt die alte Reithalle Aarau zu neuem Leben erweckt haben, erinnern die Hochhausskelette der Installation „Ghostcity“ abermals an das Provisorium der Gebäudenutzung. Auf 15×15 Metern bewegen sich die Zuschauer über knarrende Holzdielen durch eine verfallene Vorstadtsiedlung.
Sie tun dies behutsam. Denn der Verfall ist, anders als der Titel suggeriert, stark poetisiert in Szene gesetzt. Die reduzierte Bauweise, mit der Marius Kob und sein Team das Skelett ihrer Geisterstadt andeuten, blendet Menschen und ihre persönlichen Geschichten zunächst aus. Wie eine (…) morte erfährt man die Stadt, erst (…) Geräusche und das warme Licht, das zwischen den Kartonfassaden der Hochhausruinen seine Schatten wirft. Zivilisation manifestiert sich lediglich in Form eines am Wegrand liegenden Plastikstuhls oder als vergessene Wäscheleine zwischen zwei Hausfassaden, auf welche man durch den Kegel einer Taschenlampe aufmerksam gemacht wird.

Dramen des Alltags
Vor allem aber sorgt die Klangkulisse von Leo Hofmann für Belebung. Der Tonkünstler lässt die Stimmen der ehemaligen Bewohner derart unaufdringlich und leise aus den Gemäuern sprechen, dass sie unter den Schritten der Zuschauer zunächst untergehen. Erst mit der Zeit gewinnen sie an akustischer Eigenständigkeit, bis man nach einem Stadtrundgang bald selbst wie eine Säule als Zuhörer zwischen den Häusern stehen bleibt. Erst im zweiten Teil des Abends werden die Zuschauer an den Stadtrand verwiesen, um aus der klassischen Zuschauerposition den menschlichen Dramen zu folgen, die sich in den zu Miniatur-Guckkastenbühnen umfunktionierten Fensterreihen der Hochhausfassaden abspielen. Auch hier bleiben die Akustik und das Licht die wichtigsten Instrumente, mit denen die menschlichen Sehnsüchte und Erinnerungen über die Architektur gelegt werden. Dabei erfährt „Ghostcity“, das sich einer geografischen und zeitlichen Einordnung entzieht, zuweilen unverhofft einer Verortung. Etwa wenn die Schweizer-Fahne an der Stirnhalle der Reithalle hinter dem aufziehenden Nebel die Stadt in ein helvetisches Setting verlagert. Wer aggressive Sozialkritik erwartet hat, mag von diesem leisen Gesamtkunstwerk enttäuscht sein. Dem Projekt, das im Rahmen des Masterstudiengangs der HdK Bern entstand, gelingt ein poetischer Blick auf ein urbanes Monstrum.

Frankfurter Neue Presse, 1. Oktober 2011
Reise in eine surreale Welt
In Frankfurts Naxoshalle gastiert ein Berner Studententrio mit „Ghost City“. Die begehbare Theaterinstallation strotzt vor unwirklichem Leben.

Frankfurt. Was macht Theater mit der Wirklichkeit? Gern verknappt, verdichtet, arrangiert es sie modellhaft. Wenn Marius Kolb (Idee) mit Lena Kießling und Pauline Drünert durchs Kartonmodell seiner Hochhauslandschaft wandelt, gleichen sie japanischen Puppenspielern. Figuren fehlen freilich. Nur Stimmen und Geräusche geistern umher.

Das höchste Gebäude misst rund drei Meter – Maßstab 1:25? Den Zuschauer leiten keine Regeln. Viele folgen den Dreien, die schweigend Details ausleuchten. Da ist die Schaukel, so hoch aufgehängt, dass der Absprung auf die winzigen Kissen weit darunter halsbrecherisch wäre. Klo, Wäscheleine, Mehlsack. Surreale Golfplätze und Nadelwälder überraschen im Innern von Häusern. Oder die Düne mit Liegestuhl am Fuß eines Hochhauses, durch das Sand rieselt wie eine Allegorie auf Zeit und Lebensglück.

Zwielicht liegt über allem. Wohngeräusche werden eingespielt: schreiende Babys, kratzende Geigen, fröhlich schlechter Gesang, sinistres Klopfen, Erinnerungen einer Frau an ihre Kinderangst vorm Mond, der in jedes Zimmer mitwanderte. Ein guter Teil der Stunde Spielzeit ist verstrichen, als das Trio einige Hochhäuser kippt und zu Sitzbänken macht, so dass wir Teil zwei fokussierter erleben. Erinnerungen an frühere Behausungen sind zu hören, Gewaltandrohungen, Flüche, „Ruhe!“-Rufe. Als die Szene vollends eindunkelt, deuten Laser Straßenverkehr an. Alphörner und Kuhglocken sorgen ironisch für helvetische Heimeligkeit. Trockeneis-Wolken auf Hochhaushöhe, Regenfall aufs Dach verstärken das; dazu Schwarzlicht und makabre Wortwechsel über Friedhöfe und Hausgespenster. Im Finale spannen die Drei Bänder über die Bühne, ein Spinnennetz wie von Stimmen in der Nacht. An sich ist das Bühnenspiel mit Modellen nicht neu. Man denke nur an Stefan Kaegis Modelleisenbahnwelt („Mnemopark“). „Ghost City“ bleibt gleichwohl eine effekt- und liebevoll gemachte, originelle Theaterarbeit, die auch als Intermedium, Ouvertüre oder Bühnenbild einer Drameninszenierung taugen könnte. (dek)

Frankfurter Rundschau, Dienstag 4. Oktober 2011
Gulliver in der Geisterstadt
Die begehbare Theaterinstallation „Ghost City“ zu Gast in der Naxoshalle

Das ist ein kleiner Abend in einer kleinen Geisterstadt. Zuerst spazieren die Zuschauer etwas ratlos darin herum, Gullivers zwischen Papp- und Holzhochhäusern. Nicht viel los hier, aber einige atmen (atmende Häuser!), dass es einen graust, in anderen gibt es winzige Resteinrichtungsgegenstände. Sand rieselt, Wasser tropft. Eine von allen guten Geistern verlassene Gegend, jetzt kreischt es hier, brabbelt es dort.
„Ghost City“ ist ein Theaterprojekt des jungen Schweizers Marius Kob (Idee und Konzept), das derzeit in der Naxoshalle gastiert. Das Theater Willy Praml hat dafür zusammen mit dem Freien Theaterhaus Frankfurt eine Art Patenschaft übernommen, und die Naxoshalle ist in der Tat die perfekte Umgebung für Erinnerungsfetzen einer – wie man sensationsgierig hoffen mag – apokalyptisch menschenentleerten Stadt. Es entwickelt sich aber anders: Die Darsteller legen einige Hochhäuser um, die zu Sitzbänken werden und führen jetzt vor, wie es in einigen hellerleuchteten Wohnungen palavert und schimpft. Dann sind die von Geisterhand erleuchteten Straßen zu sehen, leuchtende Punkte flitzen umher. Dann kommt ein neuer nebliger Tag. Dann begreift man, dass eine stadtplanerisch verödete, nicht eine durch eine grauenhafte Epidemie entvölkerte Gegend zu sehen ist. Doch eher hübsch und possierlich als gespenstisch. (ith.)

Frankfurter Allgemeine Zeitung, Mittwoch 5. Oktober 2011
Leuchten der Erinnerungen
Theaterinstallation „Ghostcity“ bei Praml

Von Ursula Scheer

Am Ende hüllt sich die Geisterstadt in leuchtende Fäden. Wie Strahlen verlaufen sie kreuz und quer zwischen den Hochhäusern. Vielleicht sind das die Spuren von Wegen, Blicken und Erinnerungen, die Menschen mit Orten verbinden? Oder Spinnweben, hinter denen eine aufgegebene Siedlung verschwindet? Das helle Gespinst ist der Vorhang, der nach einer Stunde für die begehbare Theaterinstallation „Ghostcity“ von Marius Kob fällt, ein Projekt im Rahmen des Masterstudiengangs Theater der Hochschule der Künste Bern. Als „Nachwuchsförderung“ hat das Theater Willy Praml die junge Arbeit nun in die Frankfurter Naxoshalle geladen.
Es könnte kaum einen besseren Ort dafür geben. In dem dunklen Raum ragen übermannshohe Wellpappebauten auf. Ein Spot hier, ein Lichtstrahl dort, und die Kulissen verwandeln sich in die Illusion einer nächtlichen Trabantenstadt. Doch im ersten Teil der Vorstellung sind die Zuschauer eingeladen, die Installation aus nächster Nähe zu betrachten. Der Blick in Fensterhöhlen zeigt Leere oder Überreste verlassener Wohnungen. Stimmen und Geräusche dringen aus in den Bauten verborgenen Lautsprechern: Gesang, das Rauschen einer Dusche, Stöhnen. In dieser Stadt wohnt keiner mehr, soviel ist klar, und körperlose Laute können nur aus der Vergangenheit kommen.
Ob sie eine Geschichte erzählen, hängt von der Assoziationsbereitschaft der Zuschauer ab. Diese geistern zwar durch die Stadtkulisse – aber eine dichte Atmosphäre mag sich nicht recht einstellen. Drei mit Taschenlampen bewehrte Akteure – Marius Kob, Lena Kießling und Pauline Drünert – lenken den Blick auf Details: eine abgerissene Strickleiter, eine Wäscheleine, ein roter Gummistiefel. Tatorte? Dafür sind die Requisiten doch zu putzig. Fahrt nimmt die Dramaturgie erst auf, als die Installation zur Bühne wird und das Theater beginnt. Dann entfalten Licht, Nebel und Projektionen fast filmische Effekte auf den Kulissen. Vergessen ist die Wellpappe, stattdessen taucht man ein in die Illusion einer Stadt, in der die Erinnerung an eine Heimat auf Zeit Fenster für Fenster aufleuchtet.