Doll-Y

Ein Stück für fünf Spieler und ein Schaf

Ein Experiment. Das Material: der menschliche Körper.

Auf einer leeren Bühne, in engen Lichtkegeln gebannt, stehen aufgereiht fünf Spieler. Sind sie menschliche Individuen, oder „Dolls“, lebloses Material? Jeder einzelne von ihnen behauptet die anderen erschaffen zu haben, sei es aus Langeweile, Einsamkeit oder aus einer Laune heraus: Fünf Entwürfe einer neuen Spezies Mensch – geschaffen als Klon, als gezüchtetes Ersatzteillager oder perfektionierter Organismus. Die fünf Kreaturen animieren sich gegenseitig, ziehen, schieben, tragen einander wie Puppen über die Bühne. Sie beginnen in die Gedanken der anderen einzudringen und deren Existenz zu steuern. Ein Spiel um Macht und Manipulation. Der Mensch wird zur Puppe, zum Spielobjekt, wird animiert und manipuliert. Auf ein bloßes Objekt reduziert bekommt er eine neue Bedeutung. Tausendmal Gesehenes wird plötzlich fremd und unheimlich. Ist der Mensch womöglich nur eine Maschine, von der Kultur so programmiert, dass er andere als solche nicht erkennt? Ein Produkt unseres genetischen Baumaterials?

Wer denkt mich?
Wer atmet mich?
Wer ist ich?

Eine Etüde über das Material Mensch, über das Fremde im scheinbar Bekannten.

Regie Iris Meinhardt Spieler Mariela Canzler / Lena Kießling / Katharina Muschiol /
Velemir Pankratov / Elsa Weise Musik Thorsten Meinhardt Lichttechnik Anja Abele
Dauer ca. 60 Minuten / Erwachsene
Premiere: 17.06.2008

Nominiert für den Stuttgarter Theaterpreis 2009 & den Heidelberger Theaterpreis 2009.

Leipzig-Almanach 01.03.2010
Neuentdeckungen im Figurentheater
Im Westflügel zeigten junge Figurenspieler ihr Können und bezauberten
mit Klonschafen, nächtlichen Geisterkämpfen und Häutungen
Von Ulrike Böhm

Foto: Leipzig-Almanach / Marko Ehrhardt
„Expeditionen“ – unter diesem Titel will der Westflügel in Zukunft Arbeiten junger Figurenspieler präsentieren. Dass das eine spannende Angelegenheit ist, konnte man am 19. und 20. Februar 2010 vor Ort erleben. (…) Der Westflügel war ausverkauft, sogar auf den ungepolsterten Treppenstufen wurde Platz genommen.

Doll-y. Ein Stück für fünf Spieler und ein Schaf entstand unter der Regie von Iris Meinhardt und wurde von fünf Studentinnen verschiedener Jahrgänge und zweier Schauspielschulen dargeboten. Die Arbeit mit Materialien aller Art ist an der Stuttgarter Schule Programm – im Stück wird mit dem Material Mensch gearbeitet, Ziel: Die Erschaffung des Menschen. „Seit ich weiß, dass alles meine Erfindung ist, hüte ich mich davor, mit meinen Freunden zu sprechen.“ Wer das jeweils sagt, bleibt unklar, fest steht dieser Satz jedoch als zentraler Gedanke der Show, in der sich die fünf unter sphärischen Klängen (neu) erfinden, sich einander nähern, um sich wieder zu entfernen, sich gegenseitig über die ansonsten leere Bühne schieben oder schieben lassen, etwa mit Stöcken, gern auch mit Bewegungen, die denen von Aufziehpuppen gleichen und bestechend präzise ausgeführt werden. Wenn’s mal nicht so klappt mit den Bewegungen, diese gar auf ein Eigenleben der Puppe hindeuten, wird die Figur gelöscht – so geschehen bei Nr. 23. Was macht das schon? Nr. 24 sei willkommen im ewigen Leben! – Zwischenzeitlich kommt (Gen)Labor-Stimmung auf, alles wirkt sehr medizinisch, fast ein wenig steril, wenn im Off anatomische Lehrtexte heruntergebetet und gleichzeitig die Dolls an- und ausgeknipst werden. Sehr gekonnt wirken auch die exakten Lichtkegel, die den auswechselbaren Kreaturen ihre ebenso auswechselbaren „Wirkstätten“ vorgeben.

Verdienten Zwischenapplaus gab es für den Tanz von Dolly (dem Schaf!), einer wunderschön gearbeiteten Figur, von drei unsichtbaren Spielerinnen sauber geführt zur berühmten Musical-Melodie. Die Schlusschoreografie aus Puppenkopf, zwei Beinen und zwei Armen, die nebeneinander angeordnet auf der Bühne erscheinen und untereinander eine Art Machtkampf austragen, den keiner gewinnen kann, ist so eindrucksvoll, dass das Publikum am Ende lange still bleibt, ehe sich die Spannung in einem wohlverdienten und langen Applaus entlädt.

Stuttgarter Nachrichten 05.12.2009
Philosophischer Puppentanz
Auftakt des Stuttgarter Theaterpreises mit einem Schaf und tollen Frauen
Von Nicole Golombek

(…) Grundsätzliches wurde auch zuvor zum Auftakt verhandelt. Schwarz, nicht grau ist alle Theorie: Das Stuttgarter Ensemble Doll-y bespielt auf nachtschwarzer Bühne und mit raffiniertem Einsatz von Licht philosophische Themen. Wenn sich die fünf Akteure mit Stöcken an Armen und Händen berühren, fragt man sich: Wer bewegt wen? In einer amüsanten Show lassen sie im Dunkeln ein Schaf durch die Luft tänzeln und bewegen sich selbst im Gleichmarsch dazu. Sie berühren damit die Frage nach Mensch und Puppe ebenso wie die nach künstlicher Herstellung von Leben, deshalb auch der treffend doppeldeutig an Puppen wie an das Klonschaf erinnernde Titel der fabelhaften Produktion „Doll-y“.

Stuttgarter Zeitung 03.12.2009

double Magazin für Puppen-, Figuren- und Objekttheater 2/2009
Dämonische Welten
Über die Internationalen Figurentheaternächte Figuren@rt in Reutlingen und die Stuttgarter NEWZ 09
Von Silvia Brendenal

„Das Stuttgarter Festival unternahm den Versuch, anhand von achtzehn Inszenierungen zu belegen, dass dem Figurentheater als Kunstform eine grundlegende „Virtualität“ eingeschrieben ist, dass sich die „Theaterpuppe, das animierte Material oder Objekt … stets als Artefakt“ offenbart, „als künstlicher Körper, der nur in der virtuellen Realität der Bühne Leben behaupten kann“.
(…)
In der studentischen Arbeit „Doll-Y“, mit der das Festival eröffnet wurde und die den exemplarischen Untertitel „Wer denkt mich? Wer atmet mich? Wer ist ich?“ trägt, stellen sich die Regisseurin Iris Meinhardt und die Stuttgarter Studenten Lena Kießling, Mariela Canzler, Elsa Weise, Katharina Muschiol und Vladimir Pankratov folglich genau der Frage, was mit dem Ich passiert, so es fremdbestimmt, manipuliert, letztlich künstlich geschaffen wird. In betörend schönen Bildern erstarren Menschen zu offen geführten Puppen, wird Schaf Doll-Y geschaffen und brillant animiert, entsteht schließlich aus Körper, Kopf, Armen und Beinen ein sichtbar produziertes Geschöpf, dessen Abbild von großer Faszination ist. Es sind wahrlich berückende Momente der Faszination, verstörende der Verführung, die versuchen, den Zuschauer in diese Welt aus Möglich- und Unmöglichkeit hineinzuziehen, um ihn dann in den Augenblicken der Irritation, der Einsamkeit, der Kommunikationslosigkeit hinauszukatapultieren.

Stuttgarter Zeitung 27.06.2008